Das falsche Bildnis der Jenny Marx

Mehr als ein Vierteljahrhundert lang erinnerte in der Neustraße eine Gedenktafel an Jenny von Westphalen, Ehefrau von Karl Marx. Das Kunstwerk hatte einen Haken: Es bildete nicht Triers berühmte Tochter ab.

Dass sich ungezählte Menschen ein falsches Bild von Jenny von Westphalen machten – man kann es niemandem verübeln. Auch Franz Schönberger will und kann man keinen Vorwurf machen, obwohl der Trierer Bildhauer jene Gedenktafel geschaffen hat, die eigentlich das Antlitz der Marx-Gattin zeigen sollte und die noch bis vor wenigen Monaten die Fassade der Volksbank in der Neustraße zierte. Am 2. Dezember 1982 wurde das Werk enthüllt, von Colette Flesch, der damaligen Außenministerin Luxemburgs, die zu den führenden Liberalen ihres Landes zählte.

Schönbergers Werk basierte auf einer Vorlage, die sich lange Zeit auch auf den Einbänden sämtlicher Biographien über Jenny von Westphalen fand und auch in vielen Büchern über das Leben Karl Marx’ abgedruckt ist. Kaum jemand ahnte Anfang der 1980er Jahre, dass mit dem Foto und somit auch mit der Gedenktafel in der Neustraße etwas nicht stimmen konnte. Zwar gab es einige wenige Zweifler, doch diese fanden lange Zeit kaum Gehör. Inzwischen jedoch gilt als gesichert: von Marx’ Frau existiert gar kein Foto, zumindest ist keines überliefert.

Doch zu dieser Erkenntnis war man erst Ende der 1980er Jahre gelangt – im Moskauer Institut für Marxismus-Leninismus beim Zentralkommitee der KPdSU. Der Wissenschaftler Boris Rudjak hatte sich daran gemacht, die näheren Umstände einer Reihe von Fotos, die angeblich Karl Marx oder dessen Familienangehörige zeigten, zu erforschen. Unter den untersuchten Bildern fanden sich auch jene 126 Aufnahmen, die Marx’ Pariser Urenkel Frederic Longuet 1963 dem sowjetischen Institut vermacht hatte; darunter auch jenes Foto, das Franz Schönberger 1982 als Vorlage diente. Longuet hatte diese Jenny von Westphalen zugeordnet, doch Boris Rudjak stellte mittels aufwändiger Recherchen, in die sogar die SED in Ost-Berlin eingebunden war, fest, dass es sich um einen Irrtum handeln musste. Denn die Aufnahme war nachweislich Ende der 1860er Jahre in Hannover entstanden, und sie zeigt nicht Jenny von Westphalen, sondern die Ehefrau von Marx’ Kampfgefährten Ludwig Kugelmann, Gertrud Kugelmann.

In Westdeutschland nahm man kaum Notiz von Boris Rudjaks Enthüllung, bis in den 1990er Jahren die Biographie „Trio Infernale – das Leben der Jenny Marx“ auf Deutsch erschien. In der von Françoise Giroud, einst Ministerin unter Frankreichs Staatspräsidenten Giscard d`Estaing sowie Mitherausgeberin des renommierten Magazins L`Express verfassten Biographie, findet sich Rudjaks 1988 veröffentlichter Aufsatz „Eine erstaunliche Verwechslung“.

Ignaz Bender, damals noch Kanzler der Universität, stieß über die Lektüre einer Rezension der Frankfurter Allgemeinen Zeitung auf Girouds Werk – und damit auch auf Rudjaks Aufsatz. Rasch war dem Trierer Christdemokraten klar: An der Volksbank-Fassade hing nicht Jenny von Westphalen, sondern Frau Kugelmann. Bender hatte maßgeblichen Anteil daran gehabt, dass eine Gedenktafel geschaffen wurde. Zu Recht hatte er sich gefragt, weshalb in Trier nichts an jene Frau erinnerte, die einen bedeutenden Einfluss auf Marx’ Schaffen hatte, und die sich für den berühmtesten Sohn dieser Stadt regelrecht aufgeopfert hat. Also initierte Bender gemeinsam mit anderen am 2. Dezember 1981, dem 100. Todestag Jenny von Westphalens, eine Veranstaltung in der Promotionsaula des Priesterseminars. Im Anschluss daran sorgte der damalige Chef der Trierer Volksbank für eine kleine Überraschung: Er schlug vor, dass am Elternhaus in der Neustraße, dem Sitz seines Instituts, eine Gedenktafel angebracht werden sollte.

Gesagt, getan. Franz Schönberger schuf das Kunstwerk, ein Jahr später, an ihrem 101. Todestag hing die Gedenktafel an der Fassade und erinnerte fortan an Jenny von Westphalen. Dort sollte sie auch noch hängen, nachdem klar war, dass das Porträt Frau Kugelmann zeigte; Bender und die Volksbank-Verantwortlichen machten wenig Aufhebens um die Verwechslung. Vor einigen Monaten erst, im Zuge der Umbaumaßnahmen an dem Gebäude, verschwand die Tafel von der Fassade.

Am 2. Dezember 2008 kam die richtige Jenny an die Wand. Ein Vergleich offenbart: Optisch hatte Frau Kugelmann mit Jenny von Westphalen in etwa soviel gemein wie Marie-Luise Marjan mit Juliette Binoche. „Eine ganze andere Frau sei das“, konstatiert denn auch der Künstler, dem bei seinem zweiten Werk die Abbildung eines Ölgemäldes als Vorlage diente. Franz Schönberger kann der Verwechslung durchaus etwas abgewinnen: „Auf die Tour bin ich zu einem neuen Auftrag gekommen…“

(Der Beitrag erschien 2008 in der Dezember-Ausgabe des zwischenzeitlich eingestellten Trierer Stadtmagazins)